Alfred Reuters im Katalog zu Curriculum Arte, 2006:

Pictures of you - Von der Naturalie Erinnerung zum Artefakt und zurück.

Vor weißer Fläche Stöbern in den Karteikästen der Erinnerungen. In welche werd ich heute langen? [Ich kann nichts wegschmeißen.] Rühren in einem Mus aus Schwarz. Noch etwas Terpentin. Die Masse fließt. Der Pinsel stößt und schlägt im Takt der Musik. Erste Spuren auf dem Stoff. Langsam öffne ich die Augen ... Nein. Nichts. Dann - rhythmischer - gewinnt die Form und ich erkenne. Der Wunsch, mit Blut das blasse Antlitz Dir zu füllen, trachtet nach dem Topf mit Karmesin. Nun stehst Du da mit florbekränztem Haupt: Zusammen sind wir alt geworden ... und doch zu schön um wahr zu sein. Aus allen Farben rühr ich Dir ein Futteral aus Erden und kratze Dir ein Epitaph auf diesen Schrein. Fertig. Nächstes Bild: Da lacht das Herz vor guter Limonade.

„Doch wenn ein Glaube versinkt, so überlebt ihn - und sogar stärker, um besser zu vertuschen, daß wir die Macht, auch den neuen Dingen Wirklichkeit verleihen, eben verloren haben - eine fetischistische Anhänglichkeit an jene alten Dinge, die er zu beseelen vermocht, als habe in ihnen und nicht in uns das Göttliche gewohnt und als habe unsere gegenwärtige Ungläubigkeit einen von außen gegebenen Gegenstand: den Untergang der Götter.“
[Marcel Proust: Auf der Suche nach der verlorenen Zeit, I]

 

Kirsten Remky [Kunsthistorikerin, im Katalog zu Curriculum Arte,Suermondt Ludwig Museum 2006]:

Die Werke von Alfred Reuters sind dem Betrachter schwer zugänglich. Seine Kunst behandelt sehr persönliche, oft einschneidende Erlebnisse, wie die Konfrontation mit Tod, Liebe, Leidenschaft. Es sind wesentliche Ereignisse, die Reuters´ Leben in irgendeiner Weise verändern. Bewusst verschlüsselt er die Bilder - Gegenstände werden zu individuellen Symbolen. Dem Außenstehenden gibt er keine Chance, die Bildinhalte zu verstehen und schützt seine Persönlichkeit vor der Außenwelt. Die Skulpturen stehen im engen Zusammenhang mit seinen Bildern, und es schwingt eine geheimnisvolle Gefühlswelt mit, wenn das Holz von einer Linde stammt, die ursprünglich auf dem Friedhof stand.

Die im Kopf entstehenden Bilder werden direkt und spontan auf die Leinwand übertragen, vehement gemalt und auch impulsiv in Farbe gekratzt, zudem spielt die Verwendung von Musik bei der Arbeit sowohl als Erinnerungskrücke wie zur Rhythmisierung des Malens eine wichtige Rolle.

 

Nadya Bascha [Kunsthistorikerin] zur Ausstellung im Kunstpalast/ Aachen Mai 2006:

Der Duktus der aktuellen Arbeit von Alfred Reuters ist wild und jung, wie jener der jungen Wilden der 80er. Thema der Reihe ‚Pictures of you’ ist eine ‚konservatorische Erinnerungsarbeit’. Die Bilder entstehen spontan, ausgehend von einem Farbklecks auf der Leinwand, aus dem sich frei eine Figur, ein Thema entwickelt, ähnlich dem Rorschachtest, bei dem Tintenkleckse die Assoziation bestimmter Figuren hervorrufen.

Die Figuren und Bilder sind Teil der persönlichen Erinnerung des Künstlers, aus der/welcher heraus sie auf die Leinwand treten, lediglich grob ist inhaltlich das Feld eingekreist, aus dem die Erinnerungsfragmente emporsteigen.

Dieser Entstehungs-Prozess ist es, der den Künstler interessiert, nicht das Endergebnis Bild.

Dem Betrachter stellt sich ein Objekt dar, ein Stillleben, eine Szene, ein Ausschnitt, eine Person, ein Fragment. Dabei sind die Bilder voller Dynamik, sie sind Energie-geladen und bewegt. Die Geschichten hinter den dargestellten Objekten jedoch bleiben dem Betrachter verborgen. Es sind Codes, Symbole deren Entschlüsselung und Zuordnung der Erinnerung des Künstlers oder vertrauter Personen vorbehalten ist.

Auch hinter der Reihe ‚Mahlzeiten’ mit der Darstellung von Speisen verbergen sich Schlüsselszenen im Leben des Künstlers. Es sind Spots, Momentaufnahmen, alltägliche Szenen aufgeladen mit persönlicher Bedeutung, die den Bildern zugeordnet sind.

Trotz der dem Betrachter unmöglichen Zuordnung, wecken die Bilder Assoziationen.

Jenseits ihrer persönlichen Bedeutung sprechen die Bilder durch ihre Sujets, die unmittelbare Gestik, Bewegtheit, die Farbigkeit und Linienführung an und ziehen in ihren den Bann. Sie reißen den Betrachter mit in ihre Welt des Energie- und Lebensflusses.
Kunst als Erinnerungstafeln, als ein Memorium, dies ist auch Thema der Arbeit/ Reihe ‚Tante Agnes’, mit der der Künstler der älteren Dame (seiner Großtante) ein Denkmal im wahrsten Sinne des Wortes setzen will.

Die Bilder von Alfred Reuters erscheinen/wirken auf den ersten Blick bunt, frech und verspielt, auf den zweiten Blick offenbart sich Hintergründiges. Scheinbar/ Fast beiläufig hinterfragt der Künstler in seiner Arbeit nicht zuletzt gesellschaftliche Strukturen und zeigt auch auf anarchische Weise in seinem Werk alternative Perspektiven auf.